30. května 2023

Leipsche: Eine Sonde in die Geschichte von Česká Lípa und die Geschichten seiner Bewohner

Nach der Vertreibung der ursprünglich deutschen Bevölkerung haben viele tschechische Städte gewissermaßen ihr Gedächtnis verloren. Die, die sie einst kannten, sind gegangen – und die, die dann kamen, interessierten sich oftmals nicht dafür. Und wenn wir jetzt, fast achtzig Jahre nach der Vertreibung, versuchen, herauszufinden, wie es damals war … stellen wir oft fest, dass es niemanden mehr gibt, den wir fragen könnten. 

Tomáš Cudlín, Historiker am Regionalmuseum in Česká Lípa (Böhmisch Leipa), wusste genau, dass es höchste Zeit war, wenn man überhaupt noch jemanden fragen wollte, wie das Leben in Česká Lípa zwischen den beiden Weltkriegen und während des Zweiten Weltkriegs ausgesehen hat. Deshalb unternahm er zwischen 2018 und 2021 mehrere Reisen nach Deutschland, um die letzten dort lebenden Personen aufzusuchen, die noch dort geboren waren, und aufzuzeichnen, was sich noch aufzeichnen ließ. Und das war nicht wenig, wie sein Buch Leipsche zeigt. Wir haben die Veröffentlichung in einer deutschen und einer tschechischen Ausgabe gefördert. 

Worin unterscheidet sich sein Buch von anderen, die auf ähnliche Weise auf der Basis von Oral History die Geschichte eines Ortes nachvollziehen? Tomáš Cudlín bettet die Erzählungen seiner Zeitzeugen äußerst gründlich in den weiteren Kontext der Geschichte der damaligen Tschechoslowakei ein. Er hat viele zeitgenössische und illustrative Fotos gefunden und in die Publikation aufgenommen und sogar mehrere literarische Texte aufgetrieben, die von Zeitzeugen stammen. Außerdem beleuchtet er gründlich den Entstehungsprozess der Gespräche: Den Verlauf der Kontaktaufnahme und die Kommunikation mit den Zeitzeugen und welche Faktoren seine Arbeit beeinflusst haben. Diese Herangehensweise begeistert Fachleute und Laien gleichermaßen: Letztere haben schließlich nur selten die Möglichkeit, bei solchen Forschungen hinter die Kulissen zu schauen und sich eine Vorstellung davon zu machen, was genau sie umfassen.

Die kollektive Erinnerung vieler tschechischer Gemeinden mit deutscher Geschichte hat nicht nur dadurch schwer gelitten, dass es niemanden mehr gibt, den man fragen könnte – sondern auch dadurch, dass es keinen mehr gibt, der fragt. Česká Lípa und seine Bewohner können sich freuen und davon profitieren, dass Tomáš Cudlín ohne zu zögern so viel Energie darein investiert hat, (auch stellvertretend für die anderen) noch rechtzeitig nachzufragen…

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